Zielgruppe definieren: Warum die meisten Selbstständigen es falsch machen
Sind das Sätze die Du kennst und nutzt:
„Ich helfe allen, die erfolgreich werden wollen."
„Ich arbeite mit Unternehmern, die ihr Business skalieren wollen.”
Meine Zielgruppe sind Menschen, die sich selbst verwirklichen möchten.
Falls ja, habe ich eine schlechte Nachricht:
Du hast keine Zielgruppe. Du hast eine Wunschvorstellung.
Seit vier Jahren arbeite ich als Business Coach mit Solopreneuren, und das häufigste Problem ist nicht das fehlende Know-how oder die mangelnde Motivation. Es ist die Unfähigkeit, eine klare Zielgruppe zu definieren.
Aber nicht so, wie es die meisten Marketing-Gurus predigen.
Das Problem mit der „Ich-helfe-allen”-Mentalität
Letzte Woche fragte ich einen neuen Klienten: „Was hat es Dir bis jetzt gebracht, dass Du allen hilfst?”
Seine Antwort: „Ich komme finanziell nicht über die Runden. Ich nehme jeden Auftrag an, aber irgendwie fühlt sich nichts davon richtig an und ich bin erschöpft…”
Das ist der Punkt: Wenn Du jedem hilfst, hilfst Du niemandem richtig.
Diese „Ich-helfe-allen"-Mentalität kommt aus (D)einer verständlichen Angst: Der Furcht, potenzielle Kunden zu verlieren. Aber sie führt zum Gegenteil. Du verlierst die Kunden, die wirklich zu Dir passen, weil Deine Botschaft so verwässert ist, dass sie niemanden wirklich erreicht.
Die harte Realität: Du kannst nicht der richtige Coach für jeden sein. Und das ist gut so.
Warum die klassische Zielgruppendefinition scheitert
Die meisten Artikel zum Thema Zielgruppe definieren starten mit Demographics: Alter, Geschlecht, Einkommen, Wohnort. Dann kommen psychografische Merkmale dazu: Interessen, Werte, Kaufverhalten.
Am Ende erstellt Du eine Buyer Persona namens „Sandra, 42, Marketingleiterin aus München, verdient 80.000 Euro, liebt Yoga und Nachhaltigkeit.”
Solche Personas habe ich selbst sehr oft für Startups erstellt.
Das Problem: Sandra existiert nur in Deinem Kopf.
In der Realität arbeitest Du mit Menschen, nicht mit Statistiken. Menschen, die komplexe Probleme haben, emotionale Bedürfnisse und individuelle Geschichten.
Mein Ansatz ist anders: Statt mit demografische Daten zu definieren, fange bei Dir selbst an.
Der Werte-first Ansatz: Zielgruppe beginnt bei Dir
Bevor Du auch nur einen Gedanken an Deine Zielgruppe verschwendest, musst Du drei Dinge klären:
Was ist Dir in der Arbeit wichtig?
Was sind Deine absoluten No-Gos?
Wie soll sich die ideale Zusammenarbeit anfühlen?
Diese Fragen sind nicht oberflächlich gemeint. Sie erfordern tiefe Selbstreflexion.
Falls Du Deine Werte noch nicht klar definiert hast, empfehle ich Dir diese tiefgehende Übung. Und hier zeige ich Dir, wie Du aus Deinen Werten eine klare Vision entwickelst.
Warum ist das so wichtig? Weil Deine Zielgruppe nicht nur Menschen sind, die Dein Angebot brauchen. Es sind Menschen, mit denen Du gerne arbeitest. Menschen, die Deine Werte teilen. Menschen, die Dich energetisieren statt auslaugen.
Ein Beispiel:
Wenn Dir Pünktlichkeit und Verbindlichkeit wichtig sind, wirst Du nicht glücklich mit Klienten, die ständig Termine verschieben oder schlampig kommunizieren. Auch wenn sie Dein fachliches Angebot dringend brauchen.
Problem first: Der entscheidende Unterschied
Hier kommt der häufigste Denkfehler bei der Zielgruppendefinition: Die meisten Solopreneure denken in Lösungen statt in Problemen.
Sie fragen sich: „Was kann ich anbieten?”
Statt: „Welches Problem löse ich?”
Das führt zu austauschbaren Angeboten. „Ich helfe Dir dabei, erfolgreich zu werden” – das sagt jeder Coach. „Ich helfe Burnout-gefährdeten Führungskräften dabei, wieder zu sich selbst zu finden” – das ist konkret und relevant.
Meine Empfehlung: Definiere das Problem, bevor Du die Lösung entwickelst. Je spezifischer das Problem, desto klarer die Zielgruppe.
Die emotionale Zielgruppendefinition
Vergiss Demographics. Vergiss Buyer Personas mit Namen und Hobbys.
Konzentriere Dich auf das Emotionale:
Welches Gefühl haben Deine idealen Klienten, bevor sie zu Dir kommen? Frustration? Überforderung? Leere? Wut?
Welches Gefühl sollen sie haben, wenn sie bei Dir arbeiten? Klarheit? Sicherheit? Energie? Hoffnung?
Wie fühlst Du Dich bei der Arbeit mit ihnen? Inspiriert? Gefordert? Erfüllt?
Ein konkretes Beispiel:
Eine Klientin von mir macht „Single-Coaching für Frauen”. Auf ihrer Website standen Dinge wie:
Entfalte Dein volles Potential
Fühle Dich stark und geerdet
Lasse Deinen Selbstwert aufblühen
etc…
Das Problem dabei: Wir eine Single Frau morgens wach, streckt sich im Bett und sagt sich:
„Heute ist es an der Zeit mein volles Potential zu entfalten…”
Nein!
Sie wacht auf, fühlt sich vermutlich alleine, hat das Bedürfnis nach Nähe etc.
Das ist das Problem.
Adressiere die Problem, statt “Features” zu verkaufen.
Wenn das Problem klar adressiert ist, dann kommt erst die Lösung.
Der Awareness-State: Das fehlende Puzzleteil
Hier kommt ein Konzept, das die wenigsten Solopreneure kennen, aber das alles verändert: der Awareness-State Deiner Zielgruppe.
Basierend auf Eugene Schwartz' „Breakthrough Advertising" gibt es fünf verschiedene Bewusstseinsstadien:
1. Problem-Unaware
Menschen wissen nicht, dass sie ein Problem haben. Sie spüren vielleicht Unzufriedenheit, können sie aber nicht einordnen.
2. Problem-Aware
Sie wissen, dass etwas nicht stimmt, aber nicht was genau. „Ich fühle mich irgendwie leer in meinem Job."
3. Solution-Unaware
Sie kennen ihr Problem und wissen nicht, dass es Lösungen gibt. „Ich brauche eine berufliche Neuorientierung."
4. Solution-Aware
Sie wissen, welche Art von Hilfe sie brauchen. „Ich brauche Business Coaching."
5. Provider-Aware
Sie kennen Dich bereits und wissen, dass Du ihnen helfen kannst. Ich buche ein Erstgespräch bei Christian Strunk.
Warum ist das wichtig? Weil jeder Awareness-State eine andere Ansprache braucht.
Jemand, der nach „Business Coaching" googelt (Product-Aware), ist ein heißer Lead. Jemand, der nur ein diffuses Gefühl der Unzufriedenheit hat (Problem-Unaware), braucht erst Aufklärung über sein Problem.
Marktsegmentierung für Solopreneure
Anders als große Unternehmen kannst Du nicht mehrere Zielgruppen gleichzeitig bedienen. Zumindest nicht am Anfang.
Mein Rat: Starte eng und erweitere iterativ.
Ein Beispiel: Du bist Therapeut und fokussierst Dich zunächst auf Burnout-Patienten. Das heißt nicht, dass Du später nicht auch Menschen mit Depressionen oder Angststörungen helfen kannst. Aber am Anfang hilfst Du dabei, Dich zu etablieren und Expertise aufzubauen.
Zielgruppendefinition ist kein Steingemeißel. Es ist ein iterativer Prozess. Du kannst und sollst Deine Zielgruppe anpassen, wenn Du neue Erkenntnisse gewinnst.
B2B vs. B2C: Was ändert sich?
Falls Du mit Unternehmen statt Privatpersonen arbeitest, gelten dieselben Grundprinzipien. Der einzige Unterschied: Du musst zusätzlich verstehen, wer in dem Unternehmen die Entscheidung trifft und wer den Schmerz hat.
Oft ist das nicht dieselbe Person. Der Geschäftsführer hat den Schmerz (überlastete Mitarbeiter), aber die Personalleiterin trifft die Entscheidung über ein Coaching-Programm.
Validation durch Gespräche statt Marktforschung
Vergiss komplizierte Zielgruppenanalyse und Marktforschung. Als Solopreneur hast Du einen viel direkteren Weg: Gespräche führen.
Meine Methode: Erstgespräche mit drei einfachen Fragen:
Wo stehst Du gerade?
Wo willst Du hin?
Wie kann ich Dir dabei helfen?
Diese Fragen zeigen mir sofort, ob jemand zu meiner Zielgruppe passt oder nicht. Und sie kosten nichts außer Zeit.
Ein Tipp: Führe diese Gespräche auch dann, wenn Du noch nicht bereit bist, Klienten zu nehmen. Du lernst dabei mehr über Deine Zielgruppe als aus jeder Umfrage.
Die Rekalibrierung: Wenn die Zielgruppe nicht stimmt
In meiner Praxis sehe ich selten komplette Neuerfindungen der Zielgruppe. Häufiger sind kleine Rekalibrierungen.
Typische Signale für eine nötige Anpassung:
Du nimmst Klienten an, obwohl Dein Bauchgefühl „Nein” sagt
Du machst faule Kompromisse, weil Du Geld brauchst
Die Arbeit mit Klienten erschöpft Dich statt Dich zu energetisieren
Du erklärt ständig, warum Dein Angebot relevant ist
Die Lösung: Zurück zu Deinen Werten. Frage Dich erneut: „Warum mache ich das eigentlich?“ Und dann: „Mit wem arbeite ich am liebsten und am effektivsten?”
Häufige Einwände und wie Du damit umgehst
„Aber dann verliere ich doch Kunden!”
Reality-Check: Welche Kunden verlierst Du denn? Die, die sowieso nie bei Dir gebucht hätten, weil Deine Botschaft zu unspezifisch war?
Die Wahrheit: Eine klare Zielgruppe zieht mehr passende Kunden an, als eine vage Zielgruppe verscheucht.
„Meine Zielgruppe ist zu klein!"
Frage Dich: Wie viele Klienten brauchst Du realistisch? Als Coach oder Berater wahrscheinlich 10-50 im Jahr, nicht 10.000.
Deutschland hat 83,5 Millionen Einwohner. Selbst wenn Deine Zielgruppe nur 0,1% der Bevölkerung ausmacht, sind das 83.000 Menschen. Selbst bei 0,001% sind es noch 830 Kunden.
„Was ist mit verschiedenen Zielgruppen?”
Grundsätzlich möglich, aber schwierig. Verschiedene Zielgruppen brauchen unterschiedliches Marketing, verschiedene Ansprachen, oft sogar andere Dienstleistungen.
Mein Rat: Meistere erst eine Zielgruppe, bevor Du Dich zersplitterst.
Content Marketing für Deine definierte Zielgruppe
Wenn Deine Zielgruppe klar ist, wird Content Marketing plötzlich einfach:
Du weißt, welche Probleme Du ansprechen musst
Du kennst die Sprache Deiner Zielgruppe
Du verstehst, auf welchen Kanälen sie sich aufhält
Du kannst relevante Beispiele und Geschichten verwenden
Statt für „alle erfolgreichen Menschen" zu schreiben, schreibst Du für „Burnout-gefährdete Führungskräfte in Familienunternehmen" oder „weibliche Solopreneure, die vom Einzelkämpfer zum Team-Leader werden wollen."
Der Unterschied ist dramatisch. Deine Inhalte werden spezifischer, relevanter und emotionaler.
Tools und Methoden zur Zielgruppenbeschreibung
Du brauchst keine teuren Tools. Diese einfachen Methoden reichen:
1. Die Werte-Matrix
Erstelle eine Tabelle mit Deinen Top-5-Werten. Überlege Dir zu jedem Wert: Welche Art von Kunde teilt diesen Wert? Welche Art von Kunde verletzt ihn?
2. Die Problem-Map
Sammle alle Probleme, die Du lösen kannst. Ordne sie nach Wichtigkeit und Dringlichkeit. Die wichtigsten und dringendsten Probleme definieren Deine Kern-Zielgruppe.
3. Die Energie-Analyse
Denke an Deine letzten 10 Kunden-Interaktionen. Welche haben Dir Energie gegeben? Welche haben Dich erschöpft? Analysiere die Muster.
Online-Recherche: Wo Du Deine Zielgruppe findest
Wenn Du Deine emotionale Zielgruppenbeschreibung hast, kannst Du gezielt recherchieren:
LinkedIn: Welche Gruppen und Posts resonieren mit Menschen, die Dein Problem haben?
Foren und Facebook-Gruppen: Wo diskutieren Menschen über ihr Problem?
Podcast-Kommentare: Was schreiben Menschen unter Folgen zu Deinem Thema?
Wichtig: Nicht nach demografischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht suchen, sondern nach emotionalen Äußerungen und konkreten Problemen.
Der iterative Prozess: Anpassen statt neu erfinden
Zielgruppendefinition ist kein einmaliger Akt. Es ist ein kontinuierlicher Prozess der Verfeinerung.
Alle 6 Monate solltest Du Dir diese Fragen stellen:
Mit welchen Klienten arbeite ich am liebsten?
Welche Projekte geben mir am meisten Energie?
Welche Art von Problemen löse ich am effektivsten?
Wo sehe ich die größte Nachfrage für meine Expertise?
Die Antworten können sich ändern. Das ist normal und richtig. Du entwickelst Dich weiter, also darf sich auch Deine Zielgruppe weiterentwickeln.
Zeit und Ruhe investieren: Warum es sich lohnt
Viele Solopreneure wollen ihre Zielgruppe schnell definieren, um schnell Geld zu verdienen. Das führt zu oberflächlichen Definitionen, die nicht funktionieren.
Meine Empfehlung: Nimm Dir Zeit für diesen Prozess. Vier Wochen intensiver Arbeit an Deiner Zielgruppendefinition können Dir Monate oder Jahre ineffektiven Marketings ersparen.
Denke langfristig: Eine klar definierte Zielgruppe ist das Fundament für alles andere – Deine Positionierung, Dein Marketing, Deine Angebotsentwicklung, Deine Preisgestaltung.
Ein letzter Gedanke: Du ziehst an, was Du ausstrahlst
Hier ist eine Beobachtung aus vier Jahren Business Coaching: Die erfolgreichsten Solopreneure haben eins gemeinsam: Sie wissen genau, wer sie sind und wofür sie stehen.
Diese Klarheit zieht automatisch die richtigen Menschen an. Du musst nicht jeden überzeugen, wenn Du für die Richtigen unwiderstehlich wirst.
Deine Aufgabe ist nicht, für jeden der richtige Coach zu sein. Deine Aufgabe ist, für die richtige Zielgruppe der einzig mögliche Coach zu werden.
Wenn Du weißt, wem Du hilfst und warum, kommen die Menschen, die zu Dir passen, von selbst. Das ist kein Marketing-Trick. Das ist ein natürliches Gesetz: Gleiches zieht Gleiches an.
Die Frage ist nur: Strahlst Du bereits das aus, was Du anziehen willst?
Häufig gestellte Fragen zur Zielgruppendefinition
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Die meisten Solopreneure überschätzen massiv, wie viele Kunden sie brauchen. Als Coach oder Berater benötigst Du realistisch 10-50 Klienten pro Jahr, nicht 10.000. Selbst wenn Deine Zielgruppe nur 0,1% der Bevölkerung ausmacht, sind das in Deutschland 83.000 Menschen. Das Problem ist nicht die Größe Deiner Zielgruppe, sondern ob Du sie präzise genug definiert hast, um sie zu erreichen.
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Vergiss komplizierte Marktforschung. Führe Gespräche mit drei einfachen Fragen:
Wo stehst Du gerade?
Wo willst Du hin?
Wie kann ich Dir helfen?
Diese Erstgespräche kosten nur Zeit und zeigen Dir sofort die echten emotionalen Probleme Deiner potenziellen Klienten. Wichtiger als das, was sie sagen, ist oft das Gefühl dahinter – Frustration, Überforderung, Leere.
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Zielgruppendefinition ist kein Steingemeißel, sondern ein iterativer Prozess. Alle sechs Monate solltest Du reflektieren: Mit wem arbeite ich am liebsten? Welche Projekte geben mir Energie? Es ist völlig normal und richtig, Deine Zielgruppe anzupassen, wenn Du neue Erkenntnisse gewinnst oder sich Deine Werte weiterentwickeln.
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Buyer Personas wie „Sandra, 42, Marketingleiterin aus München” sind statistische Konstrukte, die in Deinem Kopf existieren. Du arbeitest aber mit echten Menschen mit individuellen Emotionen und Problemen. Konzentriere Dich stattdessen auf das Gefühl: Wie fühlen sich Deine idealen Klienten, bevor sie zu Dir kommen? Wie soll sich die Zusammenarbeit anfühlen? Das ist viel kraftvoller als demografische Daten.